(Hier einige Auszüge aus einem Gespräch mit Taiun Jean-Pierre Faure, Abt des Klosters Kanshoji, geleitet von der französischen Serie „Regard Bouddhiste“ vom 4. Januar 2016. )

Regards Bouddhistes: Es gibt eine vorgefasste Meinung von Gewaltlosigkeit, geerbt von der berühmten « Peace & Love » – Bewegung der Hippies in den 70er Jahren, getragen von Drogen. Erscheint darin die Gewaltlosigkeit, das „alle sind schön und lieb“, nicht als eine naive Glückseligkeit naiver Menschen ? Was denken Sie darüber?

Taiun Jean-Pierre Faure: Die Erinnerung, welche ich an die Beatnik Bewegung habe (ich bin heute 70 Jahre alt), ist die einer pazifistischen Bewegung. Die Beziehungen zwischen den Menschen beruhten auf Liebe und Frieden. Der Friede bringt die Liebe mit sich, die Liebe bringt den

Taiun JP Faure

Frieden mit sich. Es war manchmal etwas einfach, wenn man um das zu erreichen sich künstlicher Mittel wie der Drogen bediente oder wenn man sehr leicht seine Nachbarinnen küsste oder mit ihnen schlief.

Die Grundlage dieser Bewegung war jedoch, zu sehen, dass die Gesellschaft sich auf der Grundlage aggressiver und gieriger Werte entwickelte ohne eine Antwort auf die existenziellen Fragen zu bieten. Die Bewegung reagierte auf diesen Befund, indem sie sich von der Gier und dem Hass abwandte, doch übersah sie dabei, dass „der Friede tief im Innersten von uns selbst steckt“, was der Kern der Botschaft Buddhas ist. 

Inwiefern sind Frieden und Gewaltlosigkeit eine Praxis?

Es ist die ganze buddhistische Praxis! Wenn wir geboren werden erben wir ein Karma, welches sich je nach Individuum unterscheidet. Bei unserer Geburt sind wir alle Träger dieser karmischen Erbschaft dessen drei negative Energien, die drei Gifte, die Verblendung, die Gier und der Hass sind. Die buddhistische Praxis zielt auf die Erweckung in jedem Augenblick. Die Erweckung ist keine endgültige Sache, außer für jemanden wir Buddha Shakyamuni, welcher die vollständige, perfekte und unübertreffliche Erweckung verwirklicht hat.

Woher kommt die Angst ? Ist sie ein „Produkt“, abgeleitet vom Anhaften ?

Die  Anhaftungen sind das Anhaften an Illusionen und diese sind fehlerhafte Konzeptionen der Realität. Wenn ich versuche zu sehen was in 10 Jahren ist bediene ich mich der Vorstellungskraft. Mit meinem kleinen und relativen mentalen Verständnis kann ich mir über diesen Zeitpunkt vorstellen, dass ich dann in großen Schwierigkeiten bin. Wenn ich diese Vorstellung im Kopf behalte, wird es eine Obsession. Wenn ich diese Obsession in meinem  Geist behalte, wird sie mich in einer Welt der Angst einschließen.

In jedem Moment überschreibe ich meine Geschichte, indem ich glaube, dass meine Erinnerungen mit dem was war übereinstimmen, oder ich beschreibe mir die Zukunft, indem ich glaube dass meine Vorstellungen vertrauenswürdig sind. Ich interpretiere, ich gebe dem Ganzen einen Sinn. Diese dauernde mentale Aktivität kann in fehlerhaften Konzeptionen münden, die mit allen Sorten von Angst verbunden sind.

Wie kann man die Grenze zwischen der gewöhnlichen Realität und der letzten Realität verstehen?

Buddha hat seine Lehre immer unter der Berücksichtigung der relativen Wahrheit und der absoluten Wahrheit verbreitet. Wenn man nicht in jeder Situation mit einem Bein in der Welt des Relativen und mit einem Bein in der Welt des Absoluten steht, kann man nicht den Weg Buddhas gehen. Der Weg ist die Realisation der Einheit der Vision des Relativen mit der Vision des Absoluten. Menschliche Wesen können Dinge reflektieren, so können sie sich selbst und alle Dinge im Geist abbilden. Allerdings sollten sie verstehen, dass alle diese Repräsentationen nicht absolute, sondern relative Sichtweisen sind. Das Absolute ist nicht greifbar, man kann nur in Einheit mit ihm sein. Sobald man die Reflektion  dazwischenschaltet ist man in der Welt des Relativen.

Unsere Praxis ist es das körperliche Auge auf die Welt des Relativen und das Auge Buddhas auf die Welt des Absoluten zu richten. Wir erkennen an, dass die ultimative Realität nicht greifbar ist, indem wir erkennen, dass die Formen, die in unserem Bewusstsein auftreten, nichts anderes als Reflektionen dieser ultivmativen Realität sind.

Wo sind die Wurzeln der individuellen und kollektiven Gewalt ?

Jedesmal, wenn ein Individuum von Wut befallen wird, akzeptiert es nicht die Situation, will es seine Ideen gegenüber der Realität nicht aufgeben, will es seine Projekte nicht aufgeben, selbst wenn diese nicht realisierbar sind. Ein Beispiel: Ich fahre in Urlaub und habe eine Autopanne, mein Projekt wird in Frage gestellt, ich kann von einem Gefühl der Wut überwältigt werden. Die Wut kommt daher, dass ich die Realität, so wie sie ist, nicht akzeptiere und stur bleibe. Die Ursache aller Gewalttätigkeiten kommt von der Aneignung aller Dinge durch das Ich.

Und auf kollektivem Niveau ?

Man muss verstehen, dass die Gemeinschaft eine Summe von Individuen ist. Wenn man ein politisches Modell wie die Demokratie nimmt, wählt man in Wahlen einen Führer, der unsere Aufgaben und Interessen vertritt. In dieser  Haltung akzeptiert man die Ansichten des Einzelnen, und für die Gemeinschaft übernimmt man den Standpunkt der Mehrheit. Das ist die beste Verfahrensweise, die man bis heute gefunden hat, auch wenn man deren Grenzen anerkennt.

Nun, wie muss man mit den Anhängern des  „Islamischen Staats“ umgehen ?

Ich bin etwas gehemmt darüber zu sprechen. Ein Mönch macht keine Politik, aber … Die Büchse der Pandora wurde in dem Moment geöffnet als George Bush, Colin Powell und der englische Premierminister Toni Blair falsches Zeugnis abgelegt haben um den Krieg im Irak zu beginnen. So hat das große Schlamassel begonnen …

In meiner Vision als buddhistischer Mönch müssen die Probleme die die Gesellschaften betreffen durch einen Rechtsstaat gelöst werden. Ein Rechtsstaat verlangt von seinen Bürgern, dass keine Selbstjustiz herrscht. Er richtet Organisationen ein, wie die Justiz, die Polizei oder die Armee, die problematischen Bürgern Einhalt gebieten, welche sich in diesem Leben nicht erwecken können, und die für die Gesellschaft gefährlich sind – man kann diese Personen nicht beseitigen, auch wenn sie gefährlich sind.