Lieber Freund, siehst du nicht den Mann des Weges,

der weder nach der Wahrheit sucht noch vor den Illusionen flüchtet?

Das ist der erste Vers des Shodoka, des Gesangs von der unmittelbaren Erweckung, geschrieben von Meister Yoka Daishi.

Yoka Daishi gibt uns einen freundschaftlichen Rat. Dieser Mann des Weges hat verstanden, dass die drei Gifte – die Ignoranz, die Begierde und der Abneigung – eine Funktion des Menschen sind. Er weiß, dass die drei Gifte an unserer Repräsentation der Realität teilhaben.

Wir können die Wahrheit nicht in unseren leidenschaftlichen Ansichten finden. Sobald wir mit Leidenschaft sprechen ist unser Ansicht verzerrt. Deshalb nimmt der Mann des Weges nicht am disharmonischen Konzert der Stimmen teil, an der Kakophonie die heute innerhalb der Menschheit anschwillt. „Ich besitze die Wahrheit, ihr habt Unrecht“ ist eine kindische Einstellung.

Die drei Gifte werden von allen menschlichen Wesen geteilt. Buddha hat nicht verlangt diese zu unterdrücken. Er verlangt von uns sich über die drei Gifte hinaus zu behaupten. Einige beten die Gier an, andere die Abneigung… Jeder denkt dass er die Wahrheit besitzt, folglich führt dies zum Krieg…

Siehst du nicht, lieber Freund, den Mann des Weges,

der weder nach der Wahrheit sucht noch vor den Illusionen flüchtet?

Er ist kein Narr, er weiß, dass alles was in seinem Geist auftaucht nichts anderes ist als vorübergehende Erscheinungen, Formen die vom Karma verzerrt sind. Er bevorzugt es darüber zu stehen, offen für die Realität zu sein, so wie sie ist.

Die Lüge, der Betrug, der Diebstahl, die Gewalt… all das existiert in uns. All dies nährt unser leidenschaftliches Funktionieren. All das nährt unsere Starre. Manche Personen haben festgefahrene Ideen über das was gut ist, über das was schlecht ist. Seid nicht erstarrt in euren Konzeptionen. Geht darüber hinaus, das ist unsere Praxis.

Jedermann ist mit dem einverstanden, was ich sage … solange es nur den Anderen betrifft.

Jeder denkt seine Ansichten sind korrekt. Diese fanatische Einstellung kommt von unserem Missverständnis von dem was die Gedanken sind. Die Gedanken sind nichts anderes als Repräsentationen von dem was ist: beschränkt, vorübergehend, konventionell – aber sie sind auf keinen Fall die Realität selbst.

Manche sagen: „Es ist mein Gott der wahrhaftig ist, deiner ist es nicht“. Das Absolute steht über all dem was man denken kann. Das Absolute kann nicht mit Worten erfasst werden, noch weniger mit einem fiebernden Gehirn.

Bitte, fügt eure verzerrte Stimme nicht zur vorherrschenden Kakophonie hinzu. Das ist es was wir in Zazen praktizieren, wenn wir eine Idee aufziehen und vorbeiziehen lassen, ein Gefühl, eine Ansicht – ohne uns daran festzuhalten. Wenn wir einen offenen, disponiblen Geist behalten.

Am Ende mache ich das, was ich machen muss, und ich mache das nicht, was ich nicht machen muss. Was ich zu tun habe ist ohne Unterlass zu einem friedfertigen Geist zurückzukehren, ein offenes Herz zu bewahren. Was ich nicht machen darf ist die Waffen auffahren um immer Recht zu haben, bereit zu sein jeden zu beseitigen der mit meinen Konzeptionen nicht übereinstimmt.

Ich habe einen Traum … Martin Luther King träumte davon, dass die Menschheit in Frieden lebt. Das ist der Traum aller Buddhas. Sich gemeinsam im Frieden wiederzufinden, jenseits von allem was uns trennt.

Taiun JP Faure, November 2020

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